Ustersbach hält Erinnerung an Theodor Haecker wach

Geistiger Vater der Weißen Rose

USTERSBACH – An seinem stets gepflegten Grab, Gedenktafeln auf dem Friedhof sowie am Elternhaus seiner Haushälterin und der nach ihm benannten Straße begegnet man in Ustersbach (Kreis Augsburg) dem Namen Theodor Haecker (1879 bis 1945). Er war Mentor von Hans und Sophie Scholl vom Kreis „Weiße Rose“, der Widerstand gegen das Regime der Nationalsozialisten leistete.

Die Gemeinde pflegt bis heute die Erinnerung an Haecker und den Kontakt zu seinen Nachkommen. Er verbrachte die letzten Monaten seines Lebens im Haus der Familie Wagner in Ustersbach und starb dort am 9. April 1945. 

Pandemiebedingt konnte die Gemeinde erst im vergangenen Jahr des 75. Todestags Haeckers gedenken. Als bedeutender Philosoph, Schriftsteller und katholischer Denker war er ein Inspirator der Widerstands­bewegung „Weiße Rose“. 

Der damalige Pfarrer in Ustersbach, Michael Kreuzer, hat zu Haeckers 50. Todestag eine Gedenkschrift verfasst. Haecker, 1879 in Eberbach geboren und in Esslingen aufgewachsen, verdiente seinen Lebensunterhalt als Redakteur verschiedener Verlage. Nebenbei studierte er und erwies sich als glänzender Übersetzer und Interpret. Seine zahlreichen eigenen Werke und Schriften erarbeitete er hauptsächlich nachts. 

Als gefragter Redner war er mit seinen Vorträgen in vielen Städten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz unterwegs. Aus protestantischem Hause stammend, begeisterte sich Haecker zunächst für Sören Kierkegaard und die Innerlichkeit des Christentums. Durch Kardinal John Henry Newman kam er zur katholischen Kirche und trat 1921 zu ihr über. 

Einen kritischen Blick und deutliche Worte gegen Hitler und seine Machenschaften hatte er bereits 1923. 1933 fand seine erste Hausdurchsuchung und Verhaftung statt. 1935 erhielt er während einer Vortragsreise absolutes Redeverbot. 1938 folgte ein Schreibverbot. Aufgrund seiner Geradlinigkeit und Gedankenschärfe bezeichnete ihn Inge Aicher-Scholl als einen der geistigen Väter des Kreises der „Weißen Rose“. 

Unmittelbar nach der Verhaftung und Hinrichtung von Hans und Sophie Scholl 1943 wurde Haeckers Wohnung in München durchsucht. Tochter Irene konnte seine Schriften an jenem Tag als „Klaviernoten“ aus dem Haus bringen und im nahen Pfarrhaus gegen echte Noten austauschen. Das verhalf zur Einstellung des Verfahrens gegen Haecker wegen Hochverrats aus Mangel an Beweisen. 

Am 9. Juni 1944 wurde das Haus, in dem Haecker wohnte, durch einen Luftangriff zerstört. Er hielt sich zeitweise bei Inge Scholl und deren Mutter im Schwarzwald auf, wo er mit verzweifelter Ohnmacht 1944 vom missglückten Attentat auf Adolf Hitler erfuhr und im Herbst nach München zurückkehrte. 

1918 hatte Haecker die Pfälzerin Christine Margarete Braunsberg geheiratet. 1935 starb sie an Nierenkrebs. Die Kinder Johannes, Irene und Reinhard waren zu dieser Zeit 15, 13 und sieben Jahre alt. Durch Vermittlung der Münchner Heimatmissionsschwestern wurde Amalie Wagner aus Ustersbach Haushälterin der Familie. Sie kümmerte sich wie eine zweite Mutter um die Kinder sowie um Haecker, der durch seine Zuckerkrankheit gesundheitlich geschwächt war. 

Sohn Reinhard wurde 1944 zum Arbeitsdienst eingezogen, musste an die Ostfront und starb 1946 in russischer Kriegsgefangenschaft an Lungenentzündung. Sohn Johannes war seit 1939 bei der Wehrmacht. 

Von Familie eingeladen

Theodor Haecker folgte am 28. November 1944 der Einladung in das Elternhaus von Amalie Wagner nach Ustersbach, in dem er schon vor dem Krieg mit seinen Kinder einige Male zu Besuch gewesen war. Tochter Irene leistete in München Dienst beim Roten Kreuz und besuchte ihn in Ustersbach, so oft es ihr möglich war. Ihr schrieb er: „Das unverdiente Glück, das ich jetzt habe, fern von den Gräueln der Verwüstung hier in relativer Sicherheit wohnen zu dürfen, betrachte ich als Bedingung zu schreiben, solange ich noch kann.“ 

Der Bruder und die Schwester von Amalie Wagner versorgten den Gast, obwohl Heizmaterial und Lebensmittel knapp waren. Im Gespräch mit den Nachkommen erfährt man vom kämpferischen Mut der Tante Amalie und von der Gefahr, die es für die Familie Wagner bedeutete, Haecker vor der Verfolgung durch das Regime zu schützen und ihm zu Insulin für die Behandlung seiner Diabetes zu verhelfen. Tagsüber hielt er sich im Pfründehäuschen versteckt. Nur nachts kam er zum Schlafen ins Haus, wo er im Schlafzimmer der Eltern verstarb. 

„Wer kann ermessen, was in Haecker vorging, als er bei einem Spaziergang in Mödishofen einen Angehörigen der Gestapo erkannte, der ihn in München verhört hatte? So kurz vor Kriegsende waren standrechtliche Erschießungen auch ohne Gerichtsverfahren möglich“, heißt es in der Gedenkschrift. Kraft schöpfte Haecker aus der Mitfeier der Eucharistie in der Pfarrkirche hoch über dem Ort, im Kloster Baschen-
egg sowie bei Spaziergängen. 

Einen der wenigen Kontakte hatte Haecker zum damaligen Ortspfarrer Joseph Hoh. Seine Hochachtung drückte dieser bei der Beerdigung am 12. April 1945 aus, als Haecker nach zweitägigem Zuckerkoma gestorben war: „Erst die Nachwelt wird erkennen, wen wir heute hier zu Grabe getragen haben.“ Einige von Haeckers Schriften wurden erst nach seinem Tod veröffentlicht. 

Annemarie Wiedemann

08.01.2023 - Bistum Augsburg